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Accounting und transformatorische Effekte im Profifußball - DFG-Projekt

„Accounting und transformatorische Effekte im Profifußball. Eine empirisch-ethnografische Studie zur Soziologie zahlen- und datenbasierter Praktiken des Bewertens und Kritisierens“ ist ein Forschungsprojekt der Professur für Prozessorientierte Soziologie (Prof. Dr. Robert Schmidt) an der KU Eichstätt-Ingolstadt. Gefördert wird es aus Mitteln des Sachbeihilfeprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Projektstart war der 1. November 2019. Die Laufzeit beträgt drei Jahre.

Die Stoßrichtung

Im DFG-Forschungsprojekt „Accounting und transformatorische Effekte im Profifußball“ beschäftigen wir uns mit gegenwärtigen Entwicklungen im Profifußball. Während insbesondere die Fankulturen und die massenmedial verbreitete Bildsprache des Fußballs in der Soziologie schon intensiv erforscht werden, will unser Projekt weitere Aspekte des Profifußballs erschließen. Uns interessieren nicht die Akteur*innen im Fokus der Massenmedien, also Spieler*innen und Fans, sondern diejenigen, welche den Fußball in seiner gegenwärtigen Form im Hintergrund der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit überhaupt erst möglich machen und mitprägen. Uns interessieren neue, bislang wenig beachtete Expert*innenkulturen des Fußballs.

Unsere empirische Strategie

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Welche Expert*innenkulturen des Fußballs erforschen wir?

Trainer*innen-Teams, Spielanalyst*innen, Datendienstleister*innen und andere Spezialist*innen, die mit Mitteln avancierter Spielbeobachtung stets dabei sind, das „letzte Prozent“ aus ihrer Mannschaft herauszuholen. Club-Management, Marketingexpert*innen, Scouts und Spielerberater*innen, die wirtschaftliche und sportliche Kriterien in ihren Entscheidungen gegeneinander abwägen und sich zunehmend auf dynamische und globale Kontexte einstellen müssen. Die Arbeit der vielen Sportjournalist*innen, Kameraleute, Techniker*innen und Bildregisseur*innen, aber auch der Taktikblogger*innen, die das Geschehen vom Rasen nicht einfach auf den TV-Bildschirm übertragen, sondern vermittelt über eine Vielzahl komplexer Verfahren und Techniken zu einem „Spieltags-Erlebnis“ aufbereiten. Oder das Schiedsrichterwesen, welches sich im Schatten der Professionalisierung von Trainings- und Spielbetrieb zu einer immer komplexer werdenden Arbeit entwickelt hat.

Wie forschen wir? 

Das Projekt will diese Expert*innenkulturen und ihre Bewertungspraktiken in der Breite sondieren. Dazu setzen wir auf verstehende Zugänge. Gerade weil wir es mit Expert*innenkulturen zu tun haben, stellen wir uns darauf ein, im empirischen Forschungsprozess unsere Vorannahmen über das Feld hinterfragen zu müssen. An die Stelle von Fragebögen mit vorgefertigten, schematischen Antwortmöglichkeiten setzen wir daher offene Gesprächs- und Interviewformate. Daneben untersuchen wir Bild- und Videomaterialien, Dokumente und Diskurse, vor allem aber präferieren wir die teilnehmende Beobachtung im Feld. Erst die Rekonstruktion der alltäglichen Praxis der Akteur*innen, der „Blick über ihre Schulter“ und idealerweise „aus ihrer Perspektive“ vermittelt einen angemessenen Eindruck von der Komplexität ihrer Aufgaben, Probleme und Lösungen.

Accounting und Bewertung

Im Zentrum unseres Interesses stehen die Praktiken und die Logiken des Bewertens und Rechenschaft-Ablegens im Profifußball sowie die transformatorischen Effekte, die der Einsatz neuer Beobachtungsverfahren und Analysetechniken für diese Logiken bedeutet. Damit wollen wir einen Beitrag leisten zur gegenwärtig boomenden Soziologie der Bewertungskulturen. Diese Forschung beobachtet in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme von Bewertungspraktiken und Formaten – Audits, Benchmarks und Rankings, in Wirtschaft, Wissenschaft und selbst Kunst. Allzu schnell wird dabei eine „Quantifizierung“ des Sozialen beklagt, oder eine „Kolonialisierung“ nicht-wirtschaftlicher Gesellschaftsbereiche durch Management-Logiken. Übersehen wird dabei mitunter die Vielfalt und Omnipräsenz des Bewertens.

Bewertungen reichen vom ästhetischen Erfassen – etwa eines Spielzugs durch Trainer*innen genauso wie durch Kameraleute – über das Versprachlichen von qualitativen Urteilen – in der Taktikbesprechung oder etwa in der Evaluation von Schiedsrichter*innenteams – bis hin zur formalisierten Zuspitzung eines Ereignisses zu Ergebnissen – in der zählenden Logik des Spielberichts („2:0“) – in Praktiken der Benotung für organisationsinterne Zwecke oder in statistischen Verfahren.

Wir sehen im Fußball einen geeigneten Forschungsgegenstand, um einen Schritt zurückzutreten hinter politisch aufgeladene Gesellschaftskritik, und um die Soziologie der Bewertung auf Probleme der Grundlagenforschung hin zu orientieren: Wie verhalten sich vielfältige und hochgradig verschiedenartige Bewertungspraktiken zueinander? Wie kann die Bewertungssoziologie Bewertung nicht nur auf formalisierte Evaluationsverfahren reduzieren, sondern das Kontinuum zwischen ästhetisch-einordnendem Erfassen und formalisiert-verfahrensmäßiger Verbuchung beobachten?

Diese wissenschaftliche Studie wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.